Endgültigkeit der Geschichte
Wir brauchen diese in der radikalen Hoffnung gegebene Endgültigkeit unserer Geschichte und unserer
Person nicht 'vorzustellen' und auszumalen. Wir wissen von ihr nichts als eben das, was in dieser unbedingten
Hoffnung selbst gegeben ist. Natürlich dürfen wir sie nicht als Verlängerung unserer Zeit denken,
in der Neues beliebig in einen solchen neuen Zeitraum eingetragen werden könnte. Sie ist die
Endgültigkeit unserer Geschichte vor Gott und in ihm, eines Lebens, das hier in der Zeit geschah und,
wenn auch verborgen, genug von dem in sich barg, was wert ist, endgültig, 'immer' zu sein.
Diese Hoffnung bezieht sich konkret auf den einen und ganzen Menschen und ist darum schon Hoffnung dessen,
was wir Christen die 'Auferstehung des Fleisches' nennen. Eine platonisch abendländische Tradition ist
zwar daran gewöhnt, den inneren Grund der Bleibendheit des Menschen 'Seele' und den Grund seiner
Raumzeitlichkeit 'Leib' zu nennen und sich darum den Inhalt der letzten Hoffnung des Menschen als
Unsterblichkeit der Seele als eines Teiles des Menschen vorzustellen und dann die christliche Hoffnung
auf die 'Auferstehung' des Menschen (des 'Fleisches', das der Mensch ist und nicht nur hat) als
zusätzliches Ereignis am Ende der Gesamtgeschichte bloß noch für den 'Leib' zu denken.
Man soll auch heute diese platonisierenden Vorstellungsschemen nicht zu sehr von oben herab kritisieren,
zumal sie dauernd in den Glaubensaussagen der christlichen Kirchen zur Verdeutlichung des eigentlich
Gemeinten verwendet werden. Aber wir dürfen auch sagen: Die christliche und menschliche Hoffnung geht
auf die Gerettetheit des einen und ganzen Menschen und ist so eine Hoffnung, die nicht schon von vornherein
den 'Leib' ausklammern kann und dann über sein Schicksal nur durch eine Sonderbelehrung etwas wüsste.
Das darf auch gesagt werden, wenn dadurch nicht geleugnet zu werden braucht, dass die eine Endgültigkeit
des Menschen sich für die in ihm gewiss gegebenen pluralen Momente seiner Wirklichkeit je verschieden
auswirkend gedacht werden muss, ohne dass wir imstande sind, diese Verschiedenheit etwa der 'Verklärung'
von 'Leib' und 'Seele' uns nochmals genauer auszumalen.
Darum ist es auch letztlich keine Glaubensfrage, ob das, was wir die Auferstehung des Leibes im engeren Sinn
nennen, sich am Ende der Gesamtgeschichte ereignet oder als immer gleichzeitig gegebenes Moment an der einen
Endgültigwerdung des Menschen gedacht wird, die mit dem Tod jedes Menschen eintritt. Schon eine
mittelalterliche Theologie konnte sich die 'Auferstehung' des Menschen unabhängig von der Frage denken,
was mit dem Leichnam geschieht, den der Mensch im Tode hinterlässt. Der Mensch ist einer, er hat eine
Hoffnung für sich, diese Hoffnung ist radikal gesetzt im Akt der verantwortlichen Übernahme seiner
Existenz und tritt ins reflektierende Bewusstsein in dem, was wir 'Auferstehung des Fleisches' nennen (und
auch die 'Seele' in ihrer 'Unsterblichkeit' umfasst).
Nur in solcher Hoffnung kann man an die Frage der Auferstehung Jesu herantreten. Solche Hoffnung ist der Ort
dieses Glaubens. Die in der Mitte der Existenz wohnende Hoffnung (gleichgültig, ob sie in Freiheit zur
eigenen gemacht wird oder aber verzweifelt, was auch zum Unheil des Menschen wirklich möglich ist,
verworfen wird) sucht in der Geschichte ihre Greifbarkeit, das Ereignis, in dem sie wagen kann zu sagen: Es
ist geschehen, was ich auch für mich erhoffe, indem ihr ihre eigene Selbstobjektivation dargeboten wird
und so für sie der Mut entsteht, sich zu sich selbst zu bekennen. Dieses Ereignis findet der christliche
Glaube in Jesus. Die Hoffnung für uns ist eine Hoffnung, die sich bei ihm nicht mehr selbst zu verleugnen
wagen darf.
Es ist hier natürlich nicht der Ort, von Jesus alles darzulegen, was der christliche Glaube von ihm
bekennt. Hier ist nur verkürzend zu sagen: Der Glaube tritt vor diesen Jesus, sein Leben, sein Wort,
seinen Anspruch an uns und sagt: er lebt. Seine Sache ist nicht untergegangen, nicht durch seinen Tod
desavouiert. Aber diese Sache wäre nicht er, sondern eine Ideologie, die man auch ohne ihn haben kann,
wenn er selbst untergegangen wäre, würde er nicht leben. Dieses von unserer Hoffnung immer
gesuchte Ereignis könnten wir nicht Jesus nennen, wenn nicht uns durch das apostolische Zeugnis von
ihm, seinem Wort, seinem Leben und Tod und eben von seiner endgültigen Bleibendheit (Auferstehung
genannt) eine Nachricht überkommen wäre. Aber dies als unersetzbar vorausgesetzt, erfahren wir
selbst in der Begegnung mit ihm, dass er lebt: in der befreienden Macht seines Lebens und seines Todes,
der in Gott hinein geschieht: im Zeugnis seines Geistes, ohne das wir ja gar nicht glauben könnten,
auch nicht an seine Auferstehung. Wir sind (oder können sein) nicht diejenigen, die so auf das
'Augenzeugnis' der ersten Jünger angewiesen sind, wie es Menschen sind, die nur durch einen Bericht
von einem Geschehen erfahren, das sich schlechterdings außerhalb ihres eigenen Erfahrungskreises
begeben hat. Das Zeugnis der Jünger und unser inwendiges Zeugnis von der Erfahrung der lebendigen
Macht Jesu (Jesu, nicht bloß einer letztlich willkürlich mit seinem Namen verbundenen Ideologie!)
bilden ein Zeugnis: er lebt.
Man kann, wenn man will, zwar achselzuckend sagen, man erfahre in sich selbst nichts von diesem Zeugnis
des 'Geistes' Jesu, der ihn als lebendig bezeugt. Wer aber so sagt, der ist zu fragen, ob er sich schon
einmal willig diesem fordernden Anspruch Jesu ausgesetzt hat, der auf Leben und Tod, d.h. auf die Liebe
zu den Menschen und Gott in einem geht und dann als unablöslich von seiner Person erfahren wird.
Was wir wissen
Wir wissen von seiner Auferstehung hinsichtlich dessen, was damit eigentlich gemeint ist, auch nicht mehr
als das, was wir für uns selbst hoffen: die bleibende, wirkende Rettung seines Lebens durch Gott.
Wir brauchen die Eigenart seines leiblichen Auferstandenseins uns nicht ausmalen, weil wir es nicht können.
Wir brauchen auch im 'leeren Grab', das als solches allein ja gar keine Auferstehung verbürgen kann,
nicht den eigentlichen Grund des Glaubens an seine Auferstehung zu erblicken. Wir können die Berichte
von den Erscheinungen des Auferstandenen in der Schrift, wenn wir wollen, lesen als sekundäre
Verdeutlichungen einer Erfahrung des Auferstandenen, die in ihrem eigentlichen Kern hinter diesen Visionen
liegt, so wenig wir diese darum schon einebnen müssen auf solche Visionen, wie sie uns sonst aus der
Geschichte der Mystik bekannt sind. Wir lassen die Auferstehung nicht einfach bloß in unseren Glauben
hinein geschehen, sagen aber gleichzeitig, dass es zu diesem bleibenden Sieg Jesu und seiner Sache selbst
gehört, dass sie Glauben findet. Würde seine Auferstehung nirgends Glauben finden, wäre sie
auch nicht geschehen, da sie ja die siegreiche Selbstzusage Gottes an die Welt sein soll. Und auf jeden Fall
ist Jesu Auferstehung nicht die Rückkehr eines Toten in unsere Raumzeitlichkeit mit deren Bedingungen,
ist etwas ganz anderes von ihrem Wesen her als die Totenerweckungen, die sonst im Alten und Neuen Testament
erzählt werden. Der Auferstandene macht seine bleibende Gerettetheit und das Angenommensein seines
Lebens durch Gott kund, kehrt aber nicht in diejenige Welt zurück, die unter dem Gesetz der Vergeblichkeit
und des Todes steht und ja gerade von unserer Hoffnung überwunden werden soll. Wir blicken mit den ersten
Jüngern schlicht auf dieses Leben und Sterben Jesu, erfahren seine befreiende Macht an uns und sagen: Wir
würden unsere eigene Auferstehungshoffnung verleugnen, wenn wir von diesem Jesus nicht sagen würden:
Er lebt, er ist also auferstanden, wenn sich also an ihm unsere eigene Hoffnung nicht zu dem Akt ermächtigt
und befreit wüsste, in dem der Mensch seine unaustilgbare Hoffnung auch in Freiheit annimmt und vorkommen
lässt in seinem Bewusstsein. Bei allen anderen Menschen würden wir, wenn wir die Schuld ebenso ernst
im Leben des Menschen nehmen wie die Hoffnung, es vielleicht nicht wagen, an eine selige Gerettetheit des Lebens
zu glauben, auch wenn wir eigentlich ja für uns, die Schuldiggewordenen, mehr fürchten müssen als
für die anderen, deren Schuld wir nie so kennen wie die eigene. Aber wenn es einen Menschen gibt, bei dem
der Mut der Skepsis versagt, die wünschen würde, der so fragwürdige und böse Mensch möge
möglichst rasch als verunglücktes Experiment der Welt im Nichts verschwinden, dann ist es nach dem
Zeugnis der Christenheit und weit über ein kirchliches Christentum hinaus Jesus. Es mag sogar einer, wenn
er will, sagen: Es muss Gott sein: damit dieses Leben dieses Jesus nicht untergegangen ist. (Warum sollte dieses
Leben nicht ebenso gut einen 'Gottesbeweis' hergeben wie die Welt, in der Atome nach Zufall und Notwendigkeit
ihren gespenstischen Tanz aufführen und es den Menschen von schrecklicher Fragwürdigkeit gibt?)
Man kann freilich fragen, wie es denn um den Menschen stehe, wenn schließlich doch alles 'bloß'
auf Hoffnung gegründet sei und auch die Auferstehung Jesu letztlich 'nur' auf jener Hoffnung gründe,
in der wir auch für uns alles hoffen. Aber dann ist ganz nüchtern zu entgegnen, dass das Letzte im
Menschen als einem und ganzen im Unterschied zum funktionalen Besorgen der einzelnen Lebensbedürfnisse
eben in der einen Bewegung auf das eine unbegreifliche Ziel bestehe, das wir Gott nennen, in der Bewegung,
die wir Hoffnung nennen. Sie trägt, sie gibt Realität, wenn und indem sie geschieht. Und
außerhalb ihrer muss sie sich nicht rechtfertigen. Außerhalb ihrer ist nur die Verzweiflung.
Man kann diese zwar verdrängen und nicht hochkommen zu lassen versuchen. Aber ohne die Hoffnung wäre
sie, und ohne die frei angenommene Hoffnung ist sie. Und die Verzweiflung hat keine Rechtfertigung in sich,
auch wenn es dem Menschen oft scheinen mag, sie sei leichter als die Hoffnung, weil man sich da nur fallen
lassen müsse. Man kann fragen, wo denn die Hoffnung auf die Auferstehung ihre weltgestaltende und
weltüberwindende Macht ausübe, wenn doch die Geschichte der Menschen trotz aller Christen, die
zu hoffen vorgeben und dann doch nur zu gern an das Greifbare sich halten, das man auch ohne Hoffnung
besitzen kann, immer noch und immer aufs neue ein hoffnungsloses Gemenge aus Dummheit, Bosheit und Tod sei
und man dagegen nichts machen könne, als sich daran im Genuss der höheren oder niedrigeren
Vorläufigkeiten vorbeizudrücken.
Aber wer so fragt, hat schon an der Hoffnung vorbeigefragt. Er will nicht die Hoffnung tun, sondern das
Erhoffte schon genießen. Er will eine schon verwandelte Welt, nicht die Wandlung der Welt durch seine
Hoffnung gegen alle Hoffnung (wie die Schrift sagt) tun. Und auch dieser müsste wieder gefragt werden,
wo denn seine lebenstaugliche Alternative sei, und er sollte sich fragen, ob er nicht im letzten doch eine
Welt annehme, die ihm darum erträglich scheint, weil in ihr eben doch von anderen gehofft wird, mit und
ohne ihr volles Zusichselbstkommen.
Wer sagt, sein Leben bestehe in einem unbegreiflichen 'Trotzdem' der selbstlosen Liebe (z.B. in einem
unerbittlichen Einsatz dafür, dass diese Welt ein wenig erträglicher mit ein wenig mehr an Freiheit
und Gerechtigkeit werde), den dürfte der Christ (wie er sich selbst auch fragen muss) fragen, ob die
Realität seines Lebens wirklich einigermaßen dieser heroischen Parole entspreche, den würde
aber der Christ vor allem fragen, ob er nicht auch, nicht zwar den Mut der Hoffnung (den hat er, wenn er
wirklich liebt), aber den Mut aufbringen wolle, sich zu der Hoffnung ausdrücklich zu bekennen, den er
ja vor sich selbst versteckt aufbringt, wenn er selbstlos liebt. Die Hoffnung kann sich durch nichts
endgültig begrenzen lassen, wenn sie ihr eigentliches Wesen nicht verleugnen will. Dort aber, wo sie
ist und das eine Ganze des Menschen trägt, von sich weg trägt auf das Geheimnis hin, das wir Gott
nennen, da kann sie, da müsste sie auch an die Auferstehung Jesu glauben, wenn sie ihn kennt und wenn
sie sich nicht unter Auferstehung etwas vorstellt, was gar nicht wahrhaft zum Inhalt des christlichen
Osterglaubens an die Auferstehung Jesu gehört.
Österliche Umarmung
In der Liturgie der orthodoxen Kirche (vorausgesetzt, dass nicht auch sie in einem spießig gewordenen
Ritualismus verdorben ist, den wir nur zu oft bei uns kennen, durch die je eigene Schuld freilich) umarmen
sich die Gläubigen in der Osternacht unter Tränen und Jubel zugleich: Christus ist auferstanden,
er ist wahrhaft auferstanden. Man kann es nicht organisieren und liturgisieren: Aber in der Osternacht
sollten sich die Glaubenden (d. h. die, die zu glauben meinen und hoffen, es aber von sich auch nicht so
genau wissen) und die 'Ungläubigen' (d.h. die, die meinen, solchen Osterglauben nicht zu haben)
gegenseitig umarmen als die trotz allem und gegen alle Hoffnung gemeinsam Hoffenden.
Der Ungläubige müsste sich eigentlich freuen: dass sein glaubender Bruder hofft zu glauben,
selbst wenn er solchen Glauben als die wunderbarste Illusion meint interpretieren zu müssen, aber
dabei hoffentlich sich nicht einbildet, sein Unglaube sei das Gewisseste und Verlässlichste.
Und der Glaubende müsste seinem ungläubigen Bruder doch zu sagen den Mut haben (indem er betet :
'Ich glaube, Herr hilf meinem Unglauben'): Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaft auferstanden. Und er
dürfte hoffen, er müsste dabei hoffen, dass dieser ungläubige Bruder eben doch ein
Glaubender ist in der Hoffnung schlechthin, die in Freiheit unbedingt angenommen ist. Der christlich
Glaubende darf gewiss die Forderung, auch ausdrücklich zu glauben, die allen gilt, nicht unterschlagen.
Aber in der Osternacht sollte er sich vor allem darüber freuen, dass Jesus auch schon in der innersten
Mitte vieler auferstanden ist, die hoffen, ohne sich sagen zu können, was damit - nämlich eigentlich
alles - schon gesagt ist.
[Veröffentlicht in der Osternummer 1972 der Süddeutschen Zeitung sowie 1974 im (vergriffenen)
Herderbändchen 'Wagnis des Christen', S. 116 ff]
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