Netzkommunikation. Anthropologische und kulturtheoretische Anfragen an eine neue Kommunikationsform.

Kurze Ausführungen über eine Magisterarbeit
an der Hochschule für Philosophie SJ.

„Sed omne, quod recipitur in aliquo, est in eo per modum recipientis.” 
Thomas von Aquin, S. th. I qu. 76, art. 2 ad 3

Weshalb, so möchte man vielleicht fragen, sollen Problemstellungen moderner Kommunikation von Philosophen besprochen, aus anthropologischer und kulturtheoretischer Sicht Anfragen gestellt werden? Wäre das nicht eher ein Bereich von Soziologen und Psychologen? Gewiß geben die vorgenannten Wissenschaften Antworten auf die Frage nach moderner Kommunikation, doch kann die Philosophie aus ihrem spezifischen Fragen heraus neue erweiternde Antworten zur Diskussion beitragen.

Die Frage „wer sind wir selbst?” zählt wohl, als Selbstreflexion des Denkers verstanden, zu den wichtigsten Fragen der Philosophie. Durch Austausch, Interaktion beziehungsweise Kommunikation kann der Mensch als zùon politikÒn begriffen und verstanden werden. Aristoteles verweist in seiner
Politik (I,2 1253a) darauf, daß der Mensch das einzige Wesen sei, das Sprache (Logos) besitzt. Damit kommt der Sprache ein wichtiger Aspekt in der Differenzierung des Menschen gegenüber seiner Umwelt zu. Neben der gesprochenen Sprache entwickelten sich zahlreiche Formen geschriebener Sprache.

Bei der Betrachtung der Vermittlung von Sprache zeigt sich ein interessanter Zusammenhang von Stabilität und Dauerhaftigkeit der Aufzeichnung. Während im Allgemeinen beispielsweise in Stein gehauene Inschriften sehr lange Zeit überdauern können, sind sie eher immobil, man wollte doch auch diese Epistula nicht in Stein gehauen nach Hause tragen. Ein gesprochenes Wort eilt beispielsweise geschwind um den Erdball. Die unterschiedlichen Eigenschaften von Kommunikationsformen, sind primär nicht wertend, sondern zeigen eine unterschiedliche Geeignetheit für verschiedene Zwecke.

Zum Selbstverständnis des Menschen gehört, daß er sich von seiner Umwelt different begreift. Höhlen dienten den Frühmenschen nicht als Wohnraum, höchstens der Eingangsbereich, die eigentlichen Höhlen waren Kultstätten der Naturgötter. "Die ungeheure Ausdruckskraft der jungpaläolithischen Höhlenbilder liegt daran, daß man spürt, daß eine Konzeption der Welt darin liegt, einer Welt, die mit keinen anderen Mitteln zu veranlassen war, sich selbst zu stellen." So entwickelte sich aus der sakralen Kunst der Höhlenmalerei, dem Kunstschaffen zum Lobe der Götter, durch Vereinfachung und linearer Anpassung die Schrift. Als Bindeglied können etwa die Hieroglyphen, die heiligen Schriftzeichen der Ägypter gesehen werden.

Wir leben mit und in der Schrift. Das Erlernen dieser Abstraktion von der realen Sache zum Schriftzeichen erfahren wir als so alltäglich, daß wir uns der Tragweite dieser Abstraktion kaum bewußt werden. Jede Abstraktion ist eine Reduktion. Damit gehen mit jedem Schritt Inhalte verloren. Gleichzeitig kommen strukturelle Elemente hinzu. Vom Zeichen, das für einen ganzen Satz steht entstehen so langsam Wortzeichen und schließlich Buchstaben, die durch verschiedene Variationen verschiedene Bedeutungen haben. Information wird leichter handhabbar und kann gespeichert werden. Durch die regelmäßige Wiederholung und die Darstellbarkeit von Abläufen entwickelt sich langsam Verständnis von Geschichte.

Erst mit aktivem Schriftgebrauch konnten sich Handelsnetze und Reiche wie in Mesopotamien entwickeln. Sprache wurde über Distanzen hinweg zuverlässig vermittelbar. Die Römer nutzten diese Möglichkeiten besonders um ihr Weltreich zu strukturieren und zu regieren. "Das formal-logische Denken, die moderne Mathematik und die darauf aufbauenden Naturwissenschaften sind ohne typographisches Gedächtnis und ohne ihre speziellen Notationen nicht vorstellbar."

Wir sprechen von einer deutschen Schriftsprache und sagen damit mehr als nur die Bezeichnung für ein Instrumentarium mit dem man sich im gesamten deutschen Sprachraum ohne Reibungsverluste verständigen kann. Sprache orientiert sich am Zeichensystem „Die Sprache ist eine Metapher in dem Sinne, daß sie nicht nur Erfahrung speichert, sondern sie auch von einer Erscheinungsform in eine andere überträgt." Deshalb gerade verändert sich eine Gesellschaft massiv, wenn sie sich von einer oralen Kultur, wie wir sie noch in
Afrika oder Südamerika finden können, in eine visuelle Kultur verändert. Die Erfindung des Buchdrucks setzt die Grundlage für die europäische Entwicklung der Neuzeit. Uniforme Reproduktion schleift sich ein und mündet letztlich in industrieller Fertigung. Durch den Buchdruck wird das gedruckte Wort in größerem Maße verfügbar und damit nimmt die Lesefähigkeit in der Gesellschaft zu.

„Die Diskussion von religiösen und politischen Problemen und ihren Lösungsmöglichkeiten in Flugschriften trug auch, da sie - wirklich ein two-step-flow-of-communication - vorgelesen wurden, bei nalphabetischen Handwerkern und Bauern zur Bildung eines politischen Bewußtseins bei. Die Flugschriften griffen so unmittelbar in die immer noch oral organisierte Volkskultur ein, wobei der gedruckte Text zwar eine neue zusätzliche Informationsquelle bot, im lokalen Rahmen aber ... oral weitervermittelt wurde" Die Reformation ohne den Buchdruck wäre daher ebenso kaum vorstellbar wie politische Erneuerungsbewegungen wie sie beispielsweise für das Parlament der Paulskirche bestimmend war. Durch die Verfügbarkeit des Buchdrucks konnte das Wort der Schrift ist diese zentrale Stellung einnehmen.

Doch waren beileibe nicht alle Gruppen der Gesellschaft am Lesegeschehen in gleicher Weise beteiligt. Um 1800 konnten z.B. immer noch nicht mehr als 25 - 40% der Bevölkerung in Deutschland Lesen. Der Klerus, der Adel und das angesehene Bürgertum war vor allem um das Lesen bemüht. Durch Anstandsbüchlein konnte man neue gehobene Umgangsformen erlernen, was den einfachen Bürgern und Bauern durch die Unkenntnis des Lesens verwehrt blieb. Damit entstehen neue gesellschaftliche Trennlinien. Der amerikanische Pessimist und Medienkritiker Neil Postman zeigt dies insbesondere an dem Phänomen der Kindheit auf, das sich durch die Lesefähigkeit bestimmt. Der Eintritt ins Erwachsenenleben ist mit dem vollen Zugang zur Schrift verbunden. Durch neue Medien verwischen diese Grenzen wieder und heben so die Grenze auf bzw. lockern sie. Sein Buchtitel "Das Verschwinden der Kindheit" beschreibt das im Besonderen. Postman reiht sich in die Kette von Fortschrittsverweigerern und Unheilpropheten nahtlos ein. Die wertvollen Beobachtungen Postmans relativiert er selbst durch Ungenauigkeiten, die er der schlechten Medienwelt vorwirft. Etwas Neues ist etwas Schlechtes, als Gut müßte es sich erst erweisen. Die Ausblicke, die er anbietet, zeigen keine Lösungswege aus der 'gegenwärtigen Katastrophe' an -wie er selbst betont-, er läßt sie lediglich im Unterton zu.

Postman betont, daß jedes Medium neben der vermittelten Botschaft, eine dem Medium eigene Botschaft mitvermittelt. Der Konsument hat keine Freiheit in der Interpretation der Botschaft sondern unterliegt dem Diktat des Mediums. Obwohl er zum Schülerkreis von Marshall McLuhan zählt, geht er mit den Voraussetzungen, die dieser setzte ganz eigene Wege und setzt Aussagen McLuhans teilweise in falsche Kontexte.

Drei Schlagwörter sollen hier noch kurz umrissen werden. "The medium is the message" - Das Medium ist die Botschaft. Auf den ersten Blick ruft diese Aussage oft Protest hervor, da sie den offensichtlichen Anspruch von Kommunikationsmedien weitaus übersteigt, ja ihm sogar widerspricht. Medien, meist als Kommunikationsmedien verstanden, sollen gerade Botschaften vermitteln und nicht sich selbst. Dahinter steckt eine enggefaßte instrumentelle Vorstellung von Medien, die einzig den funktionalen Aspekt betrachtet. Für McLuhans Verständnis von Medien ist die Tatsache entscheidend, daß nicht der Mensch Wesen und Funktion der Medien bestimmt und kontrolliert, sondern daß die Medien ihrerseits rückwirkend den Menschen verändern. Ihm ist wichtig, daß seine Leser entdecken, daß ich mit der Wahl des Mediums eine Aussage treffe. Der gleiche Inhalt ist anders am Telefon, im persönlichen Gespräch oder im Brief. Oftmals wird das Medium sogar dominanter als der eigentliche Inhalt. Sogar scheinbar nahezu gleiche Medien machen die unterschiedliche Rezeptionsform bei näherer Betrachtung deutlich. (Vgl. derselbe Film im Kino und am heimischen Fernsehgerät)

"Media, extensions of man" - Medien sind Erweiterungen des Menschen. Damit geht er jedoch über einen rein mechanischen Medienbegriff hinaus. Mit den Medien verschafft sich der Mensch Zugänge zu neuen Welten, indem er seine Fähigkeiten oder Sinnesorgane verstärkt. Das gilt für den Faustkeil ebenso wie für kulturelle Organisationsformen und rechnergestützte Netzkommunikation. McLuhan kennt zwei Gruppen von Erweiterungen. Mechanische Medien, wie das Rad, erweitern technische Fertigkeiten des Menschen. Elektronische Medien, wie das Radio, erweitern Sinnesorgane. Der Mensch versucht sich im Kontext der Welt zu begreifen. Mit der Annahme der eigenen Subjektivität stellt sich ihm die objekthafte Welt gegenüber. Die subjekthafte Welt ist nicht die Gesamtheit von Seienden, die im räumlichen Umkreis um ein Subjekts-Ding herum vorhanden sind. Sie ist relativ in Bezug auf bestimmte Akte des Subjekts. Die Lebenswelt ist also kein starres Fixum, sondern ändert sich mit dem Erfahrungs- und Ereignishorizont des Menschen, er lebt gleichsam in seiner aktuellen Welt, die in der eigenen Vergangenheit schon etwas anders gewesen ist. Diese Lebenswelt steht im Kontext anderer Lebenswelten.

"The global village" - Medien schaffen das globale Dorf. Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat den Trend der weltweiten Vernetzung und damit des weltweiten Zusammenwachsens unterstützt.

Wahrnehmungen laufen im Gehirn des Menschen zusammen und werden dort in Relation zueinander gesetzt und in die je spezifische Erfahrungswelt eines Menschen eingepaßt. Mit den elektronischen Medien kommt eine neue Dimension der Erfahrung von Weite ins Spiel. "... elektrische Medien vergrößern die räumlichen Dimensionen nicht, sondern heben sie auf." Raum und Zeit werden unbedeutend durch die Geschwindigkeit der neuen Medien. Unser Empfinden steckt noch in der mechanischen Zeit. Darum haben viele Zeitgenossen Angst vor elektronischen Medien. Der vertraute überschaubare Bereich dehnt sich über die ganze Welt aus. Ein neues Selbstverständnis als Kosmopolit, als Bürgers des Welt-Dorfes, wird Realität. Diese Entwicklung vollzieht sich jedoch nicht peu à peu, sondern übertrifft meist noch die kühnen Schätzungen von Fortschrittsoptimisten. Strukturen der linearen Welt werden aufgebrochen. McLuhan zieht hierbei gerne den Vergleich zur modernen Physik. Mit Einstein werden die newtonschen Grenzen des euklidischen Raumes in die Relativität der Quantenphysik hinein aufgehoben. Der für fest gehaltene Stein des Bergsteigers entpuppt sich als loser Felsbrocken.

Wichtig scheint mir zu erkennen, daß die Medien an sich nicht gut oder schlecht sind, und daß die größte Gefahr in der mangelnden Kompetenz der Benutzer, sowohl der Sender wie auch der Empfänger, liegt. Wir müssen, wie McLuhan sagte, von der Ära der Buchkultur, der Dominanz des Visuellen wieder Abstand nehmen und uns mehr den elektronischen Medien zuwenden, in der diese Dominanz gebrochen wird. Wir können beruhigt hektische Unheilspropheten überhören, unseren Vorfahren wurden bei der Erfindung der Schrift und des Buchdrucks von ähnlichen kurzsichtigen Zeitgenossen begleitet.

Reinhard A. Röhrner

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