Reinhard Röhrner

Der Grammatikbegriff in den

"Philosophischen Untersuchungen"

Ludwig Wittgensteins

 

 

Inhaltsverzeichnis

 1. Einleitung zum Leben Wittgensteins
 2. Vorbemerkungen
 3. Wittgensteins Grammatikbegriff
 3.1 Wie geht Wittgenstein mit Grammatik um?
 3.2 Bedeutung der Grammatik
 4. Grammatik als "Nachfolgerin" der Logik
 Abkürzungsverzeichnis
 Literaturverzeichnis

1. Einleitung zum Leben Wittgensteins

Im Jahre 1889 wurde am 26. April Ludwig Wittgenstein als jüngstes von acht Kindern in Wien geboren. Karl und Leopoldine Wittgenstein besaßen ein Stahlunternehmen. Dadurch konnte Ludwig in begütertem Hause aufwachsen. Der Vater war eine starke Persönlichkeit im öffentlichen wie im privaten Leben, lebte aufwendig, auch als Mäzen verschiedener Künstler. Seine Söhne sollten nach Möglichkeit einen ähnlichen Beruf erlernen.

Nach der Matura studierte er zunächst an der Technischen Hochschule in Berlin, wechselt aber 1911 zum Studium der Logik und Philosophie nach Cambridge. Als er sich um den Lehrstuhl Moores bewarb wurde der erste Teil der Philosophischen Untersuchungen ins englische übersetzt. Den zweiten Teil schrieb er in der Nachkriegszeit.

Im Hause eines Cambridger Arztes, wo er ab Februar lebte, starb er dann am 29. April 1951. Er soll mit folgenden Worten gestorben sein: "Sagen Sie ihnen, daß ich ein wundervolles Leben gehabt habe!1

2. Vorbemerkungen

A. Der Begriff der Grammatik wird (ist ja klar!) nur im Zusammenhang mit den Schlüsselbegriffen der Philosophischen Untersuchungen verständlich. Diese Schlüsselbegriffe sind "Sprachspiel(e)" und "Regeln" (dazu auch "primitives Sprachspiel", "Abrichten", "Familienähnlichkeiten", "Kriterien" und "Paradigmata" etc.).

B. In den dreißiger Jahren vollzieht sich in der Wittgensteinschen Philosophie der "grammatical turn". Bis dahin (vgl. Tractatus!) sah Wittgenstein die Sprache als eine Art Kalkül an, d.h. als ein durch vordefinierte und endgültig bestimmte Regeln determiniertes System. Dieses hat er später z.B. mit dem Schachspiel verglichen.

C. Umgangssprachlich versteht man unter Grammatik die Gesamtheit der morphologischen und syntaktischen Regeln, mittels deren Anwendung man korrekte Aussagen zu formulieren vermag. Diese Regeln variieren (meistens) von Sprache zu Sprache.

D. Diesen "normalen" Sinn des Begriffs Grammatik lehnt Wittgenstein nicht ab. Er läßt ihn so stehen und erweitert ihn in doppelter Weise.

3. Wittgensteins Grammatikbegriff

3.1 Wie geht Wittgenstein mit Grammatik um?

Wittgenstein definiert die Grammatik nicht; aber er zeigt ihre Aufgabe. Sie besteht darin, die verschiedenen Gebrauchsfelder eines Wortes oder eines Ausdrucks zu prüfen. Es geht darum, sich über die verschiedensten Situationen, in denen man ein und dasselbe Wort gebraucht, Rechenschaft zu geben. Es ist also Aufgabe der Grammatik, die verschiedenen Anwendungen von Wörtern, Worten und Ausdrücken aufzuzeigen, und zwar im Hinblick darauf, die subtilen Finessen ihrer Anwendungsregeln festzuhalten.

Beispiel: Wenn man sich den Gebrauch der Worte "wissen", "können", "imstande sein" anschaut, stellt man fest, daß sie da und dort Berührungspunkte haben. Diese "Verwandtschaft" im Gebrauch, d.h. in der alltäglichen Anwendung, nennt Wittgenstein nicht etwa"Wesensverwandtschaft" oder dergleichen, sondern Verwandtschaft in der Grammatik.

Text PU 150:
"Die Grammatik des Wortes 'wissen' ist offenbar eng verwandt der Grammatik der Worte 'können', ' imstande sein'. Aber auch eng verwandt der des Wortes 'verstehen'. (Eine Technik 'beherrschen'.)"

Dazu wäre der Abschnitt 199 in den PU zu vergleichen:

"Einen Satz verstehen, heißt, eine Sprache verstehen. Eine Sprache verstehen, heißt, eine Technik beherrschen."

Ein anderes Beispiel: Man kann das, was die Aufgabe der Grammatik ist, auch anders ausdrücken. Es geht darum, die Rolle der verschiedenen Wörter in unserer Sprache, die sich in diesem oder jenem Sprachspiel aktualisiert, zu verstehen (und in diesem Zusammenhang die Kriterien, die wir für die richtige Verwendung des Wortes 'passen' oder 'können' etc. gelten lassen).
[Vgl. dazu PU 182]

Und noch ein drittes Beispiel: Was wollen wir eigentlich verstehen, wenn wir den Gebrauch, d.h. die Rolle der Wörter 'passen', 'können' etc. untersuchen? Wir wollen in Erfahrung bringen, wann wir beim Gebrauch dieser oder jener Wörter welchen Regeln folgen. Aber was ist das, 'einer Regel folgen'? Oder: was soll das denn heißen, 'einer Regel folgen'? PU 199:

"Einer Regel folgen, eine Mitteilung machen, einen Befehl geben, eine Schachpartie spielen sind Gepflogenheiten (Gebräuche, Institutionen)."

Wenn die Grammatik den Gebrauch der Worte untersucht, untersucht sie die Rolle, die die Worte in unserer Sprache spielen, und damit auch die Regeln, d.h. die Gebräuche und Gepflogenheiten, die mit dieser oder jener Rolle zusammenhängen. Dabei stellt sie u.U. Ähnlichkeiten zwischen der Anwendung von Worten fest, die der klareren Bedeutungsabgrenzung dienen.

3.2 Bedeutung der Grammatik

Dem Begriff der Grammatik gibt Wittgenstein noch eine andere Bedeutung. In diesem zweiten Sinn bezieht sie sich auf die Gesamtheit der Regeln einer Sprache oder eines Teils der Sprache. Sie zielt also nicht wie bei (1) auf den effektiven Gebrauch der Wörter etc. ab, sondern auf die Regeln, die diesen Gebrauch lenken. Es gilt zu beachten:

 

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