Einblick in eine Licentiatsarbeit
in christlicher Soziallehre bei Prof. Alois Baumgartner:
Implikationen christlicher
Soziallehre
in der Philosophie von Walter Schulz
Wie kann man heute die ethische Frage formulieren.
Philosophie und Theologie werden in den lebensrelevanten Fragen
in unserer Gesellschaft von der Medizin, den Sozialwissenschaften
und der Psychologie weitgehend auf einen Nebenschauplatz verwiesen.
Ethisches Handeln als konkrete Umsetzung ewig gültiger und
unabdingbarer Prinzipien wird in der postmodernen Multikultur
zur haltlosen Vision, wenn es nicht gar zur Farce verkommt. Ist
unter diesen Voraussetzungen Ethik überhaupt noch möglich
oder sinnvoll?
Um die Reduktion der Komplexität der ethischen Frage auf
spezifische Teilinteressen in der Gegenwart zu verstehen, verweist
Schulz auf die geschichtliche Entwicklung der praktischen Philosophie
seit der Antike. Im antiken Weltverständnis ist die klassische
Ethik im engen Austausch mit der Metaphysik, die den Menschen
als Bürger zweier Welten versteht, zu sehen. Die sokratische
Sorge um die Seele des Menschen steht für die Bedeutung der
Ethik für das tägliche Leben. Als Geistwesen gehört
der Mensch einer höheren Ordnung an und muß, will er
nicht scheitern, von diesen Werten her die Sinnenwelt gestalten.
In der christlichen Tradition verstärkte sich der Hang zur
Jenseitigkeit durch unterschiedliche tendenziell leibfeindliche
Gedankenansätze. Die Einheit des Menschen mit seinem Leib
und seinem Geist ist das Fundament christlicher Anthropologie.
Die Schwierigkeit der Anthropologie liegt in seinem Gegenstand.
Eine Betrachtung richtet sich auf ein Objekt hin, der Mensch über
menschliches nachsinnend hingegen hat gerade sich selbst zum ihm
Entgegenstehenden erwählt. Damit sind dergestaltige Überlegungen
niemals vollkommen vom Überlegenden zu trennen. Zwei
Seelen wohnen ach in meiner Brust." läßt Goethe
Dr. Faust sagen und spielt damit auf diese menschliche Urerfahrung
der inneren Zerrissenheit an. Der Mensch findet sich in der Erfahrung
seiner Geworfenheit ins Dasein in einem gebrochenen Bezug zu sich
und zur Welt.
Die Methode des Nachdenkens ist die Reflexion. Der Begriff klingt
heute tendenziell negativ, da er einen Bruch im unmittelbaren
Verlauf des Lebens bzw. Fortschritts andeutet, ein Bruch der zur
Krise werden kann. Diese Krise setzt aber zugleich die Produktivität
der Selbstbestimmung frei, der Bruch wird ein Aufbruch zum Selbst.
Im Deutschen Idealismus, dem Schulz zahlreiche Forschungen widmete,
wurde die Reflexion zur absoluten Reflexion ausgeweitet, sollte
als Grund alles denkbaren Seins begriffen und konnte doch nicht
als Grund ergriffen werden, weil in der absoluten Reflexion die
Trennung zwischen Seiendem und Ich aktualisiert wird. Welt ist
für mich immer nur Welt die ich erfahre, die ich versuche
gliedernd zu denken.
Ich erschaffe mir in meinem Denken gleichsam meine Welt, indem
ich als reflektierendes Wesen das inhaltlich Seiende übergreife
und Sinnzusammenhänge verstehe. Sinn ist aber weder eine
Stiftung eines seienden Subjektes, das es dem ihm als Chaos vorgestellten
(Objekt) Seienden einfachhin zukommen läßt, noch wird
Sinn als objektiv Vorhandenes am Seienden abgelesen. Sinn kann
nur in Relation zu einem Ich, das sich zum Seienden reflektiert,
wahrgenommen werden. Wirklichkeit ist wesentlich vom Prozeß
des Vermittelns und des Vermitteltwerdens geprägt. Der Mensch
ist es also selbst, der sich als Ich vom Seienden unterscheidet
und durch diese Unterscheidung immer schon auf eine Seite getreten
ist, die ihn dem Seienden entgegenstehen läßt. Zu sich
finden kann der Mensch nur in der Selbstbegrenzung, andernfalls
gerät er wie das unendlich reflektierende Ich auf einen Holzweg.
Die Selbstbegrenzung bedeutet aber nicht die einseitige Betonung
der Endlichkeit des Menschen, sondern vielmehr die Reflexion als
Auseinandersetzung des Ich mit dem Seienden als Wesen des Menschen
zu begreifen suchen. Freiheit ist dann nicht privativ verstanden
sondern positive Erweiterung, Qualität des Lebens.
Der Grundgedanke von Walter Schulz sieht den Menschen im Schweben.
Der Mensch ist ausgespannt zwischen Grundtendenzen des Weltbezuges
oder der Weltbindung einerseits und der Weltflucht bzw. Weltdistanz
andererseits. Der Weltbezug ist die unleugbare Bedingtheit menschlichen
Handelns durch die physischen Grenzen, gleichzeitig versucht der
Mensch vor allem in seinem Denken das Physische zu übersteigen,
über das Physische hinaus zu gehen. Die Grundtendenzen werden
von zwei Grundstimmungen, dem Weltvertrauen und der Weltangst,
begleitet. Diese können nicht den beiden Grundtendenzen zugeordnet
werden, sondern spielen in beiden Tendenzen hinein. Das Hin und
Her zwischen Ich und Welt, zwischen Innerlichkeit und Eingebundenheit
in diese Welt. Das endliche Subjekt schwebt ortlos zwischen Ich
und Welt.
In unserer Zeit gilt die traditionelle Metaphysik als überholt,
die Welt erhält keine eindeutige Ordnung mehr von einem Absoluten
wie Natur in der Antike, Gott in der christlichen Philosophie
oder die absolute Subjektivität in der Neuzeit. Schulz spricht
von der Metaphysik des Schwebens. Sie ist die problematisierende
und haltlose Reflexion beherrscht von den Grundstimmungen und
Grundtendenzen. Die Sehnsucht nach absolutem Halt im Sinne der
Seinsgeborgenheit hingegen wird als nicht einlösbar in dieser
Welt erkannt. Die gegenwärtige Kunst ist ein Indiz für
die Konstitution des Selbst in der Schwebe. In seiner Metaphysik
des Schwebens analysiert Schulz die Entwicklung der Kunst und
Ästhetik.
Ethik ist ein notwendiges Unterfangen, will man den Menschen in
seiner Personalität ernst nehmen. Gegenwärtige Ethik
muß an die Probleme der Zeit herangehen und darf sich nicht
in abstrakten Schematas verlieren. Die ethischen Grundsätze
von Aristoteles bis Kant müssen in die Zeit und die Probleme
der Zeit übersetzt werden. Wichtig ist dabei die Differenz
von Nah- und Fernhorizont zu verdeutlichen.
Globalisierung und die Betonung der Freiheit zieht eine Universalisierung
der Verantwortung mit sich. Wo Verantwortung auf den Menschen
zukommt muß und kann er sich bewähren. Ethik im Kontext
universaler Verantwortung. Das Selbst der haltlosen Reflexion
kann als Richtschnur des Handelns in einer Welt des nie enden
wollenden Diskurses und der Selbstverlorenheit des Menschen dienen.
Die Personalität wird zur Voraussetzung ethischen Handelns
in der Welt.
Aus theologischer Sicht verweist Schulz noch auf eine Antwort
Jesu: Dies habe ich zu euch gesagt, damit ihr in mir Frieden
habt. In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut:
Ich habe die Welt besiegt." (Joh 16,33) Sein Verweis darf
jedoch nicht als Vertröstung auf eine andere Welt mißverstanden
werden, sondern zeigt dem Glaubenden vielmehr einen Weg auf Halt
zu finden.